Joachim Brauer/Gerhard Regel – Tanja und Fabian
Das Buch Tanja und Fabian ist ein Aufklärungsbuch, dass erstmalig 1974 erschienen ist. Es wurde von dem Pädagogen und Schulrektor Joachim Brauer und dem Sozialpädagogen und Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Gerhard Regel herausgegeben.
Das Buch ist typisch für die 70er Jahre. In diesem Jahrzehnt schüttelte man den Muff der 50er und 60er Jahre ab. Die Gesellschaft wurde zunehmend liberaler und mutiger. Das galt auch für das Thema Sexualität. Heute wird ein gesellschaftlicher Diskurs geführt, ob dieses sexuelle Freiheitsstreben nicht etwas zu weit ging. Damals diskutierte Themen werden heute anders eingeordnet und sozial bewertet.
Auch die Aufklärungsbücher wurden liberaler. Dominierten in den Jahrzehnten vorher Zeichnungen, versuchte man nun, mit Fotos die körperlichen Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen und zwischen Jungen und Mädchen mit Fotos zu illustrieren. Ein ganzseitiges Foto zeigt Vater und Sohn, beide nackt in der Badewanne stehend. Wenige Seiten zuvor finden sich Mutter und Tochter in einer ähnlichen Situation. Kurze einfach gehaltene Texte erläutern dem Kind, der Zielgruppe dieses Buches, was es mit dem Foto auf sich hat. Etwa ist zu lesen „Fabian und sein Vater sehen anders aus als die Mutter. Sie haben ein Geschlechtsglied.“
Aus heutiger Sicht scheint das Buch einerseits belustigend, andererseits ein wenig seltsam. Ein Buch aus einer Zeit ohne Internet und Freizügigkeit in Fernsehen und Werbung, das behutsam versucht, Kinder über Sexualität aufzuklären. Das Buch ist ein spannendes Zeitzeugnis, dass den Geist der 70er zu atmen scheint.
Es stimmt nicht ganz, daß es in dieser Zeit keine Freizügigkeit im Fernsehen und der Werbung gab, ganz im Gegenteil. Die „sexuelle Befreiung“ hatte sich auch da niedergeschlagen. Ich erinnere etwa an die „Fa“-Werbung mit der Nackten am Tropenstrand. Oder die ästhetischen Aktfotografien auf den Covers des „Stern“ gegen die Alice Schwarzer erfolgreich zu Felde gezogen war, weil das angeblich „Unterdrückung der Frau“ wäre, und damit einen Gegentrend einleitete. Es gab damals viel mehr echte, unverkrampfte Nacktheit zu sehen, etwa in FKK-Magazinen, die an jedem Kiosk aushingen, mit nackten Familien und Kindern. Nackte Minderjährige waren im Kino schwer angesagt, z.B. in „Bilitis“ oder Katja Bienert als Zwölf- Vierzehnjährige in Schulmädchenfilmen, bei Jess Franco als „Lolita am Scheideweg“ und sogar in „Derrick“ zur besten Sendezeit. Heute ist alles trotz der Verfügbarkeit von Pornographie übers Internet viel verkrampfter und hysterischer, es herrscht allgemeines „Nippelverbot“ in allen US-dominierten Social Media und so ziemlich jede Abbildung nackter Kinder oder Jugendlicher ist „Kinder-“ oder „Jugendpornographie“ was laut einer eben erst vom Bundestag gebilligten Verschärfung des Sexualstrafrechts nach US-Vorbild nun ein Verbrechen darstellt – laut dieser Gesetzesnovelle ist auch ein Fünfzehnjähriger, der einer Dreizehnjährigen einen Zungenkuß gibt, ein Verbrecher. In den Medien herrscht ein übersexter Ton und es wird viel Wirbel um Nacktheit gemacht, tatsächlich aber gibt es außerhalb der Internetpornographie immer weniger tatsächliche Nacktheit zu sehen, ganz zu schweigen von einem natürlichen unverkrampften Umgang damit. Sicher gab es damals einige Auswüchse, aber insgesamt betrachtet war man da um einiges weiter als heute. Es hat sich hier, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und hinterrücks, eine tatsächliche moralische Wende vollzogen, und das nicht unbedingt zum Besseren.